Stauf´s Kolumne April / Flüchtlingsnotunterkunft Wildganssteig

Flüchtlingsnotunterkunft Wildganssteig

Mitte Dezember 2015 begann der Berliner Senat, Turnhallen als Notunterkünfte für die massenhaft nach Berlin kommenden Flüchtlinge zu beschlagnahmen, weil anders kaum noch die Möglichkeit bestand, die Menschen unterzubringen.  Bei uns in Heiligensee war zwar das Tetrapak-Gelände als Flüchtlingsheim im Gespräch und es hagelte schon Proteste, meist hinter vorgehaltener Hand, aber die „Katastrophe“ brach dann über uns herein, als am 15. Dezember die Sporthalle Wildganssteig vom Senat besetzt wurde. Gerüchteweise erfuhr ich davon. Von weitem war der Turnhalle kaum etwas anzumerken. Nur vor dem Eingang standen einige schwarz gekleidete Security-Leute, gaben knappe Auskünfte und verwiesen auf eine kleine von außen sichtbare Fotogalerie. Bis ich mit Frau Geraldine Schillner, der Leiterin der Unterkunft, ein erstes Gespräch vor Ort führen konnte, dauerte es allerdings noch bis Mitte Februar.

Und dann war der Moment da, als mich einer der Security-Leute in ihr Büro im Obergeschoss der Turnhalle führte. Von oben auf dem langen Flur, der über die gesamte Länge der Halle verläuft, hatte ich eine Überblick über die Bettenburgen, Käfigen gleich. Ich traute meinen Augen nicht, aber das, liebe Leser, war live und keine Fernsehsendung mit Bier und Chips auf dem Couchtisch, von der ich mich hätte abwenden können!  Das war so nahe, so dicht … ! Da unten waren Menschen, die versucht hatten, sich mit Tüchern, Decken und Folien, begrenzt von den eigenen und den Doppelstockbetten der Nachbarn, ein bisschen Privatsphäre zu verschaffen,  jede Familie für sich.  Und in dieser qualvollen Enge ihrer Behausungen werden sie  jeden Tag, jede Stunde und jede Minute daran erinnert, wie schrecklich ihre Vergangenheit war und das sie dem Tod nur durch ihre Flucht entronnen sind.  Und nachts, so erzählte es mir Frau Schillner, weinen die Männer, die im Heimatland oder auf der Flucht ihre Familien verloren haben … .
Gesprochen hatte ich mit keinem der Bewohner.  Ich hätte es auch als unsensibel empfunden, sie hinsichtlich ihrer Schicksale zu befragen, aber etwas waberte unausgesprochen wie ein Geist in der Halle, als ich von der Empore  aus auf alles herabsehen konnte, und das war Hoffnungslosigkeit. „Wie lange müssen wir noch in dieser Unterkunft bleiben, wie lange noch ein Leben führen, dass wir so nie gewollt haben?“  Nur Kinder, die mir bisweilen zuwinkten, machten auf mich den Eindruck, noch nicht von der allgemeinen Apathie angesteckt zu sein.

Und was machen wir?  Kaum gibt es wieder eine Pressemeldung, dass es in einer Flüchtlingsunterkunft  zu  Gewalttätigkeiten gekommen ist, erheben wir den Zeigefinger und verstehen nicht oder wollen nicht verstehen, dass das sehr oft Auswirkungen eines Lagerkollers sind. Im günstigsten Fall regen wir uns darüber auf, wenn vorübergehend unsere Kinder keinen Sportunterricht bekommen und behaupten, dass unsere Turnhallen angeblich desaströs ruiniert werden,  anstatt stolz darauf zu sein, durch eigenen Verzicht einmal etwas Gutes tun zu können. Mit einer einmaligen Spende pro Jahr, vielleicht auch eines höheren Geldbetrages, ist dann genug Mitmenschlichkeit geübt worden oder wie? Wir werfen viel lieber die große Mischmaschine an und werfen alle Flüchtlinge, Ausländer, Migranten in einen Topf, anstatt mal ganz klar zu sagen, dass diejenigen, die in Köln zu Silvester Frauen bestohlen, beraubt und sexuell angegangen sind, Verbrecher waren und diejenigen Menschen, die sich in „unseren Turnhallen“ aufhalten,  ganz andere sind. Wenn wir schon ein wenig stolz auf unsere Dichter und Denker, Künstler und Erfinder sein wollen, dann doch deshalb, weil diesen eines gemeinsam war: Sie haben ihren Verstand benutzt. Tun wir das doch bitteschön auch und lassen uns nicht vorführen: Bei dem Vorkommnis in Clausnitz, bei dem der dumme und dämliche Mob stundenlang den Bus belagert und deren Insassen auf das Übelste mit Hassparolen bedroht  hatte, stand eine Frau auf und zeigte die Geste, dass sie mit voller Verachtung auf die johlende Menge spukte. Wie recht sie doch hatte!

Fakten zur Flüchtlingsunterkunft am Wildganssteig in Stichworten:  
Besteht seit dem 15. Dezember 2015.   Knapp 200 Bewohner. Nationalitäten: Syrien, Moldavien, Afghanistan, Irak, Iran, Libanon, Pakistan, Ägypten.  Familien und Einzelreisende, meistens aber ganze Familien. Kommunikation, Englisch und über Mitarbeiter, Sozialarbeiter, Security in der jeweiligen Landessprache. Bildung: sehr wenig Analphabeten, u.a, dabei Tierarzt, Apothekerin, Sängerin . Lehrer.  Religion, hauptsächlich muslimisch, einige Kopten aus Ägypten. Keine Probleme bei Religionsausübung, recht wenig Streit. Liebevolles Haus. Sanitäreinrichtungen vorhanden.  2 Waschmaschinen 1 Trockner, 14-tägig wird die Bettwäsche gewechselt, Handtücher wöchentlich. Essensversorgung durch Caterer, mit Bewohnern einen Testdurchlauf gemacht und den Caterer gewechselt. Das Essen entspricht muslimischen Vorgaben.
Selbstorganisation durch die Heimbewohner, sie werden dazu angehalten, damit sie nicht in Hoffnungslosigkeit  verfallen. Sie fahren mittlerweile auch allein und selbstständig zum LaGeSo, zu Krankenhäuser, Ärzten
Beschäftigung. Deutschkurse für Kinder fast am jeden Vormittag, Spazierengehen mit Sozialarbeitern, um die Gegend kennen zu lernen. Flimmerstunde, KiKa. Bastel- und Malkurse. Spielplatzbesuch. Deutschkurse auch für Erwachsene am Nachmittag, Spielstunden. Musikabend. Feiern von Anlässen, wie Fasching, auch Ostern, was sie kennen. Frau Schillner dazu: „Es sind ja keine Hinterwäldler“. Geplant an zwei verschiedenen Tagen, Sportkurs für Männer und Sportkurs für Frauen und Sportkurs für Kinder.  Versuch, ganz viel zu machen. Viele junge Leute gehen joggen. Demnächst  je nach Wetter soll es eine Männerfußballgruppe geben.
Im Mai wird die Halle zurückgegeben und diese Unterkunft geschlossen. Die Bewohner werden dann bundesweit in Wohnheime verlegt.

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Was wird dringend benötigt?  Kinderwagen,  Kaffee,  Vorhänge,  Schulmappen, Federtaschen, Turnbeutel, Bettlaken 90 x 200

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